Ein schwarzer Kreis
... Mitte Januar erfuhren sie (die LGBT-Aktivisten) zu ihrer großen Verwunderung, dass ihnen unbekannte „LGBT -Aktivisten“ vorhätten, eine Kundgebung auf dem Maidan zu veranstalten und ihr Zelt aufzustellen. Zeitgleich tauchte in den sozialenNetzwerken eine Anzeige auf, über die Teilnehmer an einer LGBT -Demonstration gegen eine Bezahlung von 100 bis 150 Euro gesucht wurden.
Statisten spielen Aktivisten
Die echten Aktivisten organisierten über den Maidan-Rat und die Selbstverteidigung einen Schutz der Miniparade, da anzunehmen war, dass in diesem Spektakel außer den Statisten, die die Aktivisten spielen sollten, auch Statisten auftreten würden, die selbige zusammenschlagen sollten. Am verabredeten Tag versammelten sich im Kiewer Zentrum an den Barrikaden die mit grellen Perücken, Hüten und Regenbogenfahnen ausgestatteten angeheuerten Schauspieler, eine Gruppe von LGBT -Aktivisten mit Plakaten „Nein zu Provokationen!“, die Selbstverteidigung des Maidan, die Gewaltausbrüche verhindern sollte, ein Stückchenweiter die angeheuerten Homophoben und natürlich die Presse.
Allerdings gelang es nicht, die gewünschten Fernsehaufnahmen zu machen. Die Selbstverteidigung schützte die LGBT -Schauspieler vor den homophoben Schauspielern. Schlussendlich setzten sich die „Aktivisten“ diszipliniert in ihren Kleinbus und fuhren, ohne ihr Zelt aufzustellen, davon. Von außen betrachtet wirkte das ganze Szenario wie aus einem Lehrbuch der Psychoanalyse.
Die Pseudoaktivisten sahen genau so aus, wie sie wohl in den homophoben Vorstellungen der Organisatoren dieser Aktion aussehen müssen: Grell gekleidete Hedonisten, die es kaum erwarten können, ihre Fahne zu schwenken und,wie es in der Propaganda so schön heißt, „das unschuldige kindliche Symbol des Regenbogens zu verunglimpfen“.
Den Maidan in ein schlechtes Licht rücken
Dieses provokative Schauspiel war einerseits darauf ausgerichtet, dass konservative Bürger, denen eine solche Form öffentlicher Repräsentation von Homosexualität fremd ist, den Maidan nicht mehr unterstützten. Auf der anderen Seite hätten im Falle einer geglückten Provokation die Medien von Intoleranz auf dem Maidan berichtet, was wiederum das westliche Ausland aufgebracht und den Mythos von einer faschistischen Bewegung gestärkt hätte. Nachdem diese zutiefst homophobe Aktion geplatzt war, fuhren die Aktivisten zu Wiktor Medwedtschuks Büro, um ihm
eine Urkunde für seine Verdienste um die Rechte der LGBT Community in der Ukraine zu überreichen. Diese Urkunde fügten sie auch in die Liste seiner Auszeichnungen auf seiner Wikipedia-Seite ein. ...
Andruchowytsch, Juri (Hrsg.):
Euromaidan
Was in der Ukraine auf dem Spiel steht
© Suhrkamp Verlag
edition suhrkamp
978-3-518-06072-8