Ungarn

Roma-Morde: Neue Ermittlungen

Der Druck von ungarischen Bürgerrechtlern und Anwälten hat offenbar gewirkt. Nun gibt es vor allem eine gute Nachricht für die Überlebenden und die Angehörigen der Mordopfer: Die ungarische Polizei nimmt die Ermittlungen im Fall der Roma-Mordserie von 2008/2009 wieder auf, wie diese Woche bekannt wurde, da ein oder mehrere mutmaßliche Mittäter noch frei herumlaufen.

Zugleich ordnete die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen im militärischen Bereich an, mutmaßlich wegen der Verstrickung des ungarischen Militärgeheimdienstes in die Roma-Morde. Zuvor hatte die ungarische Regierung versprochen, die Überlebenden der Mordserie und die Angehörigen der Mordopfer schnell und unbürokratisch zu entschädigen. Ungarische Bürgerrechtler wie der Roma-Aktivist Aladar Horvath werten diese Ankündigungen als „späte, aber begrüßenswerte Gesten“ der Regierung gegenüber den Opfern.


Die Regierung gesteht Mitverantwortung ein

Das „Nationale Ermittlungsamt“ (NNI), Ungarns zentrale polizeiliche Ermittlungsbehörde, die vor allem bei Terrorismusverdacht und Straftaten mit Auswirkungen auf die nationale Sicherheit tätig wird, kündigte in dieser Woche an, dass es die Ermittlungen wieder aufgenommen habe. Einzelheiten teilte das NNI nicht mit. Ungarns Minister für Humanressourcen Zoltan Balog hatte zuvor angekündigt, seine Regierung wolle die Überlebenden der Mordserie und die Angehörigen der Mordopfer entschädigen, da der ungarische Staat eine Mitverantwortung an der Mordserie trage und seine Behörden bei den Ermittlungen zur Mordserie möglicherweise sogar in strafrechtlich relevanter Weise geschlampt habe.

Balog erhebt damit gegen die während der Morde amtierende sozialistisch-liberale Koalitionsmehrheit schwere Vorwürfe. Zugleich ist es das erste Mal, dass ein Minister einer Regierung die Mitverantwortung des ungarischen Staats eingesteht.

Die rechtsextremen Täter hatten in den Jahren 2008/2009 neun Brand- und Mordanschläge verübt und dabei sechs Roma ermordet und 55 Menschen, ebenfalls fast alle Roma, zum Teil lebensgefährlich verletzt. Sie wurden im August 2009 gefasst, der Prozess gegen sie begann im Frühjahr 2011. Vor kurzem, Anfang August, wurden die erstinstanzlichen Urteile verkündet: Drei Täter erhielten lebenslange Haftstrafen, ein Komplize 13 Jahre Gefängnis. Alle Verurteilten haben Berufung eingelegt.


Zahlreiche Ermittlungspannen

Bereits während und kurz nach dem Ende der Mordserie stellte sich heraus, dass die sozialistisch-liberale Koalition zahlreiche skandalöse Ermittlungspannen zu verantworten hat. So wurden die Ermittlungen erst zentralisiert, nachdem bereits vier Roma ermordet worden waren, darunter ein vierjähriger Junge. Monatelang war ein rechtsterroristischer Tathintergrund nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden, die Polizei hatte Spuren an Tatorten teilweise mutwillig verwischt. DNA-Analysen ergaben, dass es neben den verhafteten vier Tätern weitere mutmaßliche Mittäter gab. Sie laufen bis heute frei herum. Außerdem lassen Ermittlungsergebnisse auf zahlreiche Unterstützer und Mitwisser schließen.

Damit nicht genug: Der ungarische Inlandsgeheimdienst hatte die Überwachung zweier späterer Täter kurz vor Beginn der Mordserie eingestellt. Der Militärgeheimdienst wiederum hatte durch einen Führungsoffizier noch während der Mordserie zu einem Tatkomplizen Kontakt. Erst vor kurzem kam heraus, dass dieser Führungsoffizier im Prozess gegen die Mörder von seinen Vorgesetzten zur Falschaussage angestiftet worden war.


Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen

Der liberale Politiker Jozsef Gulyas, der 2009/2010 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Roma-Mordserien mitgeleitet hatte, begrüßt die Neuaufnahme der Ermittlungen und hofft, dass „die Einzelheiten bei den damaligen Schlampereien der Behördern endlich geklärt werden“. Gulyas bewertet auch das Versprechen, die Opfer zu entschädigen als „sehr schätzenswerte Geste“, da es „in Ungarn nicht populär“ sei, Opfer aus den Reihen der Roma zu unterstützen.

Die Entschädigungsankündigung der ungarischen Regierung kommt, nachdem Bürgerrechtler und Anwälte der Überlebenden und Angehörigen in den letzten Monaten immer wieder auf deren elende Lebensbedingungen hingewiesen haben. „Dass die Opfer entschädigt werden sollen, scheint mir eine ehrliche Geste der Regierung zu sein“, sagt der Roma-Aktivist Aladar Horvath. „Angesichts der Wahlen im nächsten Jahr könnte es auch ein klares Signal sein, dass diese Regierung sich vom Antiziganismus der Rechtsextremen angrenzt.“


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