Polen

Aufstand der Atheisten

„Ich bin kein schlechter Mensch”, sagt Andrzej Mleczarski. Seine Prinzipien trägt der 63-jährige Stettiner für jeden sichtbar auf seiner Brust. „Ich töte nicht. Ich stehle nicht. Ich glaube nicht“, steht auf seinem schwarzem T-Shirt.

Mleczarski ist Atheist. Und damit ein Exot in einem Land, in dem die Bevölkerung offiziell zu 95 Prozent katholisch ist. Nein, sagt Mleczarski, Atheisten wie ihn gebe es hierzulande eigentlich viele. „Sie trauen sich nur nicht, sich zu bekennen.“


Keine antikatholischen Ressentiments

Deshalb outet sich Mleczarski mit seinem provokanten T-Shirt. Und deshalb spendete er für eine Plakatwand mitten in der Stadt, vor der er nun gerne posiert. „Du glaubst nicht an Gott? Dann bist Du nicht allein“, steht darauf.

Die Atheisten in Polen gehen in die Offensive. Insgesamt 39 Plakatwände hat die Stiftung „Freiheit von der Religion“ in 24 polnischen Städten installiert. Schwerpunktmäßig in Orten, die als besonders religiös gelten wie der Wallfahrtsort Tschenstochau mit seiner Schwarzen Madonna oder Swiebodzin, wo vor zwei Jahren die weltweit höchste Christus-Statue eingeweiht wurde.

„Wir führen keine antikatholische Kampagne“, erklärt Dorota Markiewicz. Die Personalchefin einer großen Firma in Stettin beteiligt sich ebenfalls an der Kampagne. Gegen Katholiken habe sie nichts. Doch von der Gegenseite, so Markiewicz, kämen oft feindliche Signale. „Viele Katholiken sehen nur zwei Möglichkeiten: Entweder man ist gläubig und moralisch, oder ungläubig und unmoralisch“, sagt Markiewicz. „Mit der Kampagne wollen wir zeigen: Wir sind viele. Und wir sind wie jeder andere, nur dass wir nicht an Gott glauben.“


Viele haben Angst vor Ausgrenzung

Offiziell gibt es kaum Atheisten in Polen. Kirchenaustritte werden erst seit 2010 erfasst – demnach kehren pro Jahr nur knapp 500 Menschen dem Katholizismus den Rücken. Doch die Zahlen täuschen. Zum einen ist der Austritt kompliziert: Religionsverdrossene müssen in Begleitung von zwei Zeugen bei ihrem Pfarrer vorstellig werden und ihren Austritt begründen. Vor allem aber haben viele Polen Angst, dass sie und ihre Kinder als Atheisten ausgegrenzt werden.

Wie Justyna Kozlowska aus dem oberschlesischen Gleiwitz (Gliwice) . „Die Rituale zu Weihnachten und Ostern sind für mich Tradition, aber kein spirituelles Erlebnis“, sagt die 27-Jährige. Seit sie ihre atheistische Einstellung zeigt, wird sie nicht mehr zu Taufen oder Hochzeiten eingeladen. Die meisten Ehen werden in der Kirche geschlossen und dank einer Abmachung mit dem Vatikan auch vom Staat anerkannt.


Janusz Palikot prangert Kirchensteuer an

„Es missfällt mir, dass die Kirche überall im öffentlichen Leben dabei ist. Bei jeder staatlichen Angelegenheit ist ein Bischof anwesend. Es fehlt Geld für so viele Dinge, aber die Kirche bekommt trotzdem hohe Summen“, sagt Justyna.

Die Kirche soll sich heraushalten: Mit dieser Forderung punktete bei der letzten Parlamentswahl die Partei des Abgeordneten Janusz Palikot. Die „Palikot-Bewegung“ ist mittlerweile die drittstärkste Partei im polnischen Parlament. Palikot fordert, dass sich die Kirche über eine separate Kirchensteuer und nicht aus dem Staatshaushalt und damit direkt aus der Einkommenssteuer finanziert. „Jeder darf glauben, was er will. Aber warum werden wir Atheisten gezwungen, die Kirche mitzufinanzieren?“, fragt auch die Stettiner Aktivistin Dorota Wieczorek.


Keine Alternativen zum Religionsunterricht

Ein weiterer Dorn im Auge ist den Atheisten der obligatorische Religionsunterricht an den Schulen. 2010 zog deswegen sogar eine polnische Familie erfolgreich vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die Eltern wollten ihren Sohn ohne religiösen Einfluss großziehen. Laut Verfassung eigentlich kein Problem: Der Religionsunterricht in Polen ist freiwillig.

Die Praxis sieht anders aus. Die Kinder gelten als angemeldet, wenn die Eltern nicht schriftlich widersprechen. Nur wenige Schulen bieten bislang Ethikunterricht oder eine alternative Betreuung an. Den Klägern schlug die Schule vor, ihr Kind einfach zum Unterricht zu schicken, damit „alle es einfacher haben“.


Polen wird Religion immer unwichtiger

Das Urteil aus Straßburg gab den Eltern recht und hat viele bestärkt, sich für die Religionsfreiheit stark zu machen. Darüber hinaus wird in Polen die Bindung an die Kirche immer schwächer. Laut aktuellen Untersuchungen belegt die Religion nur noch Platz 7 auf der Prioritätenliste der Polen hinter Familie, Arbeit und Beruf.

Andrzej Mleczarski zeigt auf die Plakatwand im Zentrum Stettins. „Wenn das hier andere Atheisten lesen, dann habe ich keine Angst mehr, mit meiner Auffassung alleine in Polen zu sein“, sagt er.


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