Ukraine

Von Dauerwahlkampf die Nase voll

„Die Ukraine wird existieren“, steht auf einer riesengroßen Werbetafel an einem Straßenrand in Kiew. „Welch Neuigkeit“, ächzt ein vorbei eilender Passant. Das zugeschminkte Narbengesicht des Präsidenten lächelt über ihm. „Ich geh nicht wählen“, sagt der Mann. „Wozu auch?“

Am Sonntag wird in der Ukraine gewählt. „Schon wieder“, sagen jene entnervt, die den Wahlzirkus nahezu jährlicher Neuwahlen und den damit einher gehenden Dauerwahlkampf satt haben. Diesmal aber steht der Präsident zur Disposition – das erste Mal seit der orangefarbenen Revolution vor fünf Jahren. Sie hatte Viktor Juschtschenko die Präsidentschaft beschert – nach einem Wahlkampf, der Juschtschenko zum Ziel eines Giftanschlages, sein Gesicht entstellt und ihn damit zu einer Art Legende gemacht hat. Beinahe wäre dieser Wahlkampf blutig geendet.

Heute ist Juschtschenko politisch so gut wie tot. Seine Partei steht vor dem Bankrott, nachdem sich Sponsoren zurückgezogen haben. Das Gemetzel zwischen alten Alliierten und alten Konkurrenten, das sich heute in Kiew abspielt, hat er verloren.

Trotzdem sind die Akteure bei der bevorstehenden Wahl dieselben wie schon vor fünf Jahren. Da ist eben Viktor Juschtschenko, der es trotz allem noch einmal probieren will, seine einstige Alliierte Julia Timoschenko, heute Premierministerin und Juschtschenkos schärfste Kritikerin; und da ist auch wieder Viktor Janukowitsch – jener Mann, der bei der umstrittenen Wahl vor fünf Jahren als Kandidat des Regimes ins Rennen geschickt und danach international als Wahlfälscher an den Pranger gestellt worden war. Insgesamt treten 18 Kandidaten gegeneinander an.

Die Ironie an der Sache: Janukowitsch führt heute in allen Umfragen, dicht gefolgt von Timoschenko. Juschtschenko kommt auf gerade einmal zwischen drei und fünf Prozent. Die Entscheidung dürfte also aller Voraussicht nach zwischen Janukowitsch und Timoschenko fallen. Die resolute Premierministerin, die manch Ukrainer mit einem bissigen Kampfhund vergleicht und die andere mit ihrem forschen Auftreten überzeugt, gegen den Rüpel von einst, der in Jugendjahren zweimal im Gefängnis gesessen hatte und in den vergangenen fünf Jahren gelernt hat, sich staatstragend zu geben.

„Wir werden nicht die Person wählen, die wir wirklich wollen, sondern gegen jemanden, den wir absolut nicht wollen“, sagt der Werbegrafiker Pasha. Sein Fazit: „Auch das ist Demokratie.“ Was sich in der politischen Führung des Landes abspielt, schwebt meterhoch wie eine Riesenwerbetafel über den Köpfen der Ukrainer. Die hatten vor allem im vergangenen Jahr andere Sorgen, als in politischen Machtkämpfen ihre Position zu suchen.

Die Wirtschaft kollabierte zwischenzeitlich in Folge der Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit stieg rasant, vielen wurden die Löhne gekürzt, zugleich verfiel die Nationalwährung Griwna gegenüber dem Dollar. Letzteres bedeutete den Bankrott für viele Dollar-Kreditnehmer – und das sind fast alle, die Geld geliehen haben. Dazu kam die Gaskrise mit Russland zu Beginn des Jahres 2009 und im Herbst die Grippeepidemie.

Nicht politische Farbenspiele also, sondern Überlebensfragen prägen das Dasein in der Ukraine. „Demokratie ist super“, sagt der grantige Nichtwähler unter dem grinsenden Plakat-Präsidenten. „Sie sollte uns nur in Ruhe lassen.“


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