Slowakei

Die schöne Unbekannte

Bratislava steht im Schatten von Wien und Budapest - zu unrechtBratislava (n-ost) - Für den alten Mann sind Scham und Diskretion offensichtlich Fremdworte. Rücksichtslos schaut er allen vorbei flanierenden Damen unter die Röcke. Dafür wurde ihm bereits zweimal von Lieferanten - vermutlich erbosten Ehemännern - fast der Kopf abgefahren. Allerdings ist er in seinem Gully, aus dem er mit verschränkten Armen und verschmitzten Lächeln herausguckt, auch leicht zu übersehen. Deshalb weist mittlerweile eine  nicht zu übersehende Hinweistafel auf "Cumil" hin. So heißt die Eisen-Figur des Bildhauers Viktor Hulik, die einen Gulli im Stadtzentrum bevölkert und zu einer viel fotografierten Sehenswürdigkeit in Bratislava geworden ist.Das wichtigste Wahrzeichen der slowakischen Hauptstadt Bratislava ist allerdings immer noch, oder vielmehr wieder die Burg¸ die sich auf einem Berg über der Altstadt und der Donau erhebt. Die Burg, deren erste Anlage auf das Jahr 907 zurückdatiert, brannte 1811 fast vollständig nieder und wurde erst in den 1950er Jahren wieder rekonstruiert. Die Burg diente einst als Verteidigungsanlage gegen die aus Ungarn vorrückenden Armeen der türkischen Osmanen. Im 15. Jahrhundert wurde Pressburg, wie Bratislava bis 1918 hieß, zur Hauptstadt des ungarischen Königreiches. Die Slowakei konnte von den Türken nur in den Randbereichen vorübergehend  besetzt werden. Bratislava wurde zum Zufluchtsort des ungarischen Adels. Die österreichischen Habsburger, an die die ungarische Königskrone 1526 fiel, ließen die Burg mehrfach ausbauen. Besonders in der Zeit Kaiserin Maria Theresias wurde die Burg aufwendig im Barockstil umgebaut.
Aufgang zur Burg
Boris Blahak

Nicht weit entfernt von der Burg überragt der Dom des heiligen Martins die Altstadt. Hier wurden über drei Jahrhunderte lang die ungarischen Könige gekrönt. Auf seiner Spitze befindet sich eine vergoldete Krone, die an die Krönungen erinnern soll. Im Jahr 1884 dirigierte der Komponist Franz List, der häufig in Pressburg weilte, seine Krönungsmesse im Dom. Leider sind viele Häuser um den Dom sowie das angrenzende ehemalige Judenviertel dem Bau einer Schnellstrasse und einer Brücke über die Donau Ende der 1960er Jahre zum Opfer gefallen. Die Fortschrittswut und Geschichtsvergessenheit der sozialistischen Bürokraten machten leider nicht vor den steinernen Zeugnissen eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Juden und Christen in früheren Jahrhunderten halt.Wenn man vom Dom aus über die neue Brücke ans andere Ufer der Donau blickt, sieht man einen Wald von Hochhäusern, deren uniformiertes Grau einen krassen Gegensatz zur reizvollen Altstadt bildet. Der Bezirk Petrzalka  wurde von Stadtplanern auf dem Reißbrett konzipiert und ist mit seinen Plattenbauten ein Musterbeispiel des sozialistischen Städtebaus. War früher eine Wohnung in Petrzalka bei vielen Familien durchaus begehrt, so ist in den letzten Jahren die dringend notwendige Renovierung vieler Häuser im Stadtteil zugunsten der Sanierung der Altstadt vernachlässigt worden. Es scheint so, als ob das neue Bratislava die tristen Überreste seiner jüngeren Geschichte gerne verdrängt zu Gunsten einer, vermeintlich glanzvollen, ferneren Vergangenheit. Die alte Frau, die gerade den Eingangsbereich eines Hochhauses fegt, ist jedoch stolz darauf, dass sie in Petrzalka wohnt: "Die meisten Leute wohnen gerne und schon lange hier. Sogar unser früherer Ministerpräsident Dzurinda wohnte viele Jahre in Petrzalka. Er ist nur ausgezogen, weil es mit dem Personenschutz im engen Hochhaus schwierig war."Das gigantische sowjetische Ehrenmal, das sich auf einem Berg über der Stadt weithin sichtbar erhebt und an die Befreiung Bratislavas durch sowjetische Truppen im Jahr 1945 erinnert, wird, ebenso wie die umliegenden Gräber gefallener russischer Soldaten, immer noch gepflegt. Nach der blutigen Niederschlagung des slowakischen Volksaufstandes gegen die deutschen Besatzer im Herbst 1944 wurde der Einmarsch der roten Armee von vielen Slowaken begrüßt. Zur historischen Wahrheit gehört allerdings auch, dass die erste slowakische Staatsgründung, nach dem Ende des großmährischen Reiches im frühen Mittelalter, im Jahr 1939 unter dem Protektorat des Dritten Reiches zustande kam. Der klerikalfaschistische Präsident Jozef Tiso verharrte in blinder Nibelungentreue an der Seite des Deutschen Reiches bis zu dessen Untergang 1945. Für die Slowaken, die ihre nationale Identität immer noch suchen, auch in Abgrenzung zum großen Bruder Tschechien und den Ungarn, die jahrhundertelang über die Slowakei geherrscht hatten, ist die Herrschaft Tisos ein besonders schwieriges Kapitel.Die aufwändig restaurierte Altstadt ist zum Stolz und touristischen Aushängeschild Bratislavas geworden. Der Hauptplatz der historischen Stadt wird von einem historischen Gebäudeensemble umrahmt. Das zentrale Bauwerk ist das alte Rathaus, das aus mehreren Gebäuden besteht. Zu dem Haus des Stadtrichters Jakob mit seinem hohen Turm wurden vom Magistrat der Stadt im Laufe der Zeit mehrere Bürgerhäuser hinzugekauft, mit einem gemeinsamen langen Dach versehen und als Rathaus genutzt, was viel über die unkonventionelle und praktische Art der Bewohner des alten Pressburg aussagt.


Altstadt
Andreas Metz

Sehenswert sind der von Arkaden gesäumte Innenhof des Rathauses und das im Rathaus befindliche Stadtmuseum. Im Keller des Rathauses befindet sich das frühere Stadtgefängnis, das auch besichtigt werden kann. Die dort gezeigten Foltermethoden legen Zeugnis darüber ab, welche beängstigende Kreativität unsere Vorfahren dabei entwickelten andere Menschen auf phantasievolle Weise durch Rädern, Vierteilen, Pfählen und dergleichen mehr zu Tode zu bringen.An einer Ecke des Hauptplatzes befindet sich das Cafe Mayer, in dem es die wohl leckersten Kuchen der Stadt gibt. Herr Morac, der Stammgast ist, schwört auf die Kuchen: "Im Cafe Mayer gibt es die besten Sachertorten außerhalb von Wien. Das gefällt den Konditoren in Linz, Salzburg oder Budapest natürlich nicht, die manchmal ein bisschen auf uns Slowaken und unser schönes Bratislava herab sehen. Aber die vielen Touristen aus Österreich, die hier ihre Sachertorte essen, sind immer ganz begeistert". Seine karge Pension erlaubt Morac zwar nur einmal in der Woche ins Cafe zu gehen, umso mehr genießt er bei jedem seiner Besuche die Atmosphäre im Cafe, in dem man sich in die Zeit zurückversetzt fühlt, als Bratislava noch Pressburg hieß und  Kaiser Franz Joseph die Geschicke seiner braven Untertanen lenkte.Wie viele Rentner gehört Morac zu den Verlierern des Wandels in der Slowakei. Unter der Regierung des Ministerpräsidenten Mikulas Dzurinda wurde die Slowakei seit 1998 zum Versuchslabor eines rigiden Neoliberalismus in Osteuropa. Sozialleistungen wurden gekürzt, die Mehrwertsteuer erhöht, während andererseits die Unternehmenssteuern auf 19 Prozent gesenkt wurden. Die Folge war, dass sich das Wirtschaftswachstum beschleunigte, aber gleichzeitig die soziale Ungleichheit im Lande erhöhte. Trotz einer boomenden Wirtschaft wurde Dzurinda im Juni 2006 schließlich abgewählt. Gewinner war die Partei SMER, des linkspopulistischen Politikers Fico. SMER bildete eine Koalition mit zwei nationalistischen Parteien und versprach die soziale Balance in der Slowakei wieder herzustellen. Abgesehen von der Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung zeigt sich die neue Regierung jedoch eher zögerlich dabei, die unter Dzurinda beschlossenen Reformen zurück zu nehmen. Vera, die in einem Internetcafe jobbt, ist gegenüber der neuen Regierung skeptisch: "Zu viel Korruption, zu viel Vetternwirtschaft. Aber das ist in der Slowakei eigentlich ja immer schon so gewesen. Das Problem dieser Regierung ist jedoch, dass Fico den Menschen sehr viele soziale Wohltaten versprochen hat. Spätestens bei der nächsten Wahl werden ihn die Wähler daran erinnern."Abends vermischen sich die Gruppen von Touristen, die bereits tagsüber die Altstadt bevölkert haben, mit den vielen Nachtschwärmern, die aus Petrzalka und anderen Vororten in die Innenstadt kommen. Die Straßencafes sind gut gefüllt und über allem schwebt die für Bratislava und seine Bewohner typische heitere, aber niemals laute und aufdringliche Atmosphäre. Die miniberockten jungen  Slowakinnen, die zu zweit oder in kleinen Gruppen durch die Stadt flanieren, ziehen die Blicke ebenso auf sich, wie eine Männer-Gruppe aus der schwäbischen Provinz, die mit einem Billigflieger zum Wochenendtrip nach Bratislava gekommen ist.Vor der Kulisse des erleuchteten Rathauses zeigt eine Feuerschluckerin aus Hamburg dem staunenden Publikum ihre Künste und in den Strassen versuchen Musikgruppen aus allen Teilen Europas ihre mehr oder weniger beeindruckenden Sangeskünste zu ein paar Kronen oder Euro zu machen.Erst weit nach Mitternacht wird es in den Gassen der Altstadt ruhiger. Auch die letzten Gäste, die dem guten slowakischen Bier eifrig zugesprochen haben, streben dann, mitunter leicht schwankenden Schrittes, nach Hause.  Nur einer ist immer noch hellwach: Cumil kann sich einfach nicht satt sehen am Treiben in den Gassen seiner Stadt, Bratislava.ENDE----------------------------------------------------------------------------------
INFOTEILANREISE:Es fliegen mehrere Fluglinien von Deutschland direkt nach Bratislava. Die Lufthansa fliegt ab Frankfurt/Main, München, Berlin, Hamburg und einigen anderen Städten nach Bratislava. Ryanair fliegt von Bremen und Frankfurt Hahn in die  slowakische Hauptstadt.
Mit der Bahn fährt man von Frankfurt knapp 9 Stunden und München schnellstens 6 Stunden nach Bratislava.
Mit dem Auto ist die Fahrt über Wien am einfachsten. Alternativroute über Prag und Brünn.
UNTERKÜNFTE:Hotel Devin, Riecna 4, Tel. 00421-2-59985111
Hotel Ibis, Zamocka 38, Tel. 00421-2-59292000
Hotel Arcus, Moskovska 5, Tel. 00421-2- 55572522
Hotel Turist, Ondavska 5, Tel. 00421-2-55574844, EZ ca. 40 EuroRESTAURANTS UND CAFES:Modra hviezda, Beblahevo 14,  gute slowakische Küche unweit der Burg
Plzensky dvor, Cintorinska 26, rustikal eingerichtet; gute und recht günstige Speisen
Korzo, Hviezdoslavovo namestie 11, Restaurant und Cafe mit guter Küche in zentraler Lage
Kaffee Mayer, Hlavne namestie 5, das bekannteste Cafe in Bratislava
BUCHTIPPS:Slowakei, Eva Gruberova und Helmut Zeller, Verlag Reise Know-How


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