Russland

Missionieren auf dem Kasernenhof

Die orthodoxe Kirche Russlands und ihr Einfluss auf die Armee

Moskau (n-ost) - Vater Dimitrij ist eine eindrucksvolle Erscheinung. Seine kräftige Gestalt, sein langer grauer Bart und sein ernster Blick flößen Respekt ein. Vater Dimitri, im bürgerlichen Leben Dimitrij Nikolajewitsch Smirnov, ist seit 2001 oberster Ansprechpartner für russische Soldaten in der russisch-orthodoxen Kirche. Die Abteilung, der er vorsteht und die dem Patriarchat der Kirche in Moskau zugeordnet ist, hat eine lange Tradition. Gegründet wurde sie im Jahr 1800 von Zar Paul, dem Sohn Katharinas der Großen. Im Jahr 1917 wurde die Abteilung von den Bolschewiken geschlossen und erst 1995 wieder neu begründet.Vater Dimitrij unterstehen rund 2000 Militärgeistliche, die in der russischen Armee missionieren und Seelsorge leisten. "In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der Gläubigen in den Streitkräften Russlands verdreifacht. Mittlerweile bezeichnen sich fast 70 Prozent der russischen Soldaten und Offiziere als gläubig", zählt der Geistliche die Erfolge auf und lobt dabei das gute Verhältnis zur Armeeführung.Eine besondere Rolle spielt für die orthodoxe Kirche die psychologische Betreuung der Soldaten, insbesondere der jungen Rekruten. So sind die Militärgeistlichen für viele Soldaten oft die einzige Anlaufstellen in einer Armee, in der die Offiziere eine fast uneingeschränkte Befehlsgewalt haben. Die vielen Soldaten, die in den vergangenen Jahren in den russischen Streitkräften durch Unfälle, Selbstmorde oder Misshandlungen ums Leben gekommen sind - offizielle Quellen sprachen von über 1000 Toten im Jahr, die Vereinigung der russischen Soldatenmütter gar von 3000 Toten im Jahr - verdeutlichen, dass das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Soldaten keinen allzu hohen Stellenwert hat.Allerdings vermeidet die orthodoxe Kirche meist offene Kritik an der Situation in den Kasernen. Stattdessen soll die Religion als moralischer Rückhalt für die Soldaten und als gemeinsames Bindeglied zwischen Rekruten, älteren Soldaten und Offizieren "zur Stärkung der Wehrkraft beitragen", wie Vater Dimitrij sich ausdrückt. Er jedenfalls hält die Wahrnehmung der Streitkräfte in der Gesellschaft für zu schlecht: "Die Armee erhält in der russischen Öffentlichkeit immer noch zu wenig Aufmerksamkeit"Für den im Frühjahr aus dem Amt geschiedenen Verteidigungsminister Sergej Iwanow, der auch als möglicher Nachfolger Wladimir Putins im Gespräch ist, findet der Geistliche lobende Worte: "Iwanow ist patriotisch, zugleich pragmatisch und machte eine erfolgreiche Arbeit für die Armee." Ähnlich positiv sieht Vater Dimitrij die Politik Putins: " In seiner Amtszeit hat sich die Lage der Armee insgesamt verbessert, vor allem die gestiegenen Aufwendungen und die erhöhte Aufmerksamkeit der Regierung für die Armee sind positiv." Aktuelle Entwicklungen in der russischen Politik wolle er nicht kommentieren, aber er hoffe, dass "es nach den Präsidentschaftswahlen keine großen Änderungen geben" werde.Vater Dimitrijs staatstreue Position ist typisch für die Haltung der orthodoxen Kirche. Bereits im Zarenreich erwies sich die Orthodoxie als verlässliche Stütze des Regimes und der Armee. Während der französischen Invasion unter Napoleon stärkte die Kirche in entscheidendem Maße den Widerstandsgeist der russischen Bevölkerung gegen die ausländischen Truppen. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Jahre 1941 unterstützten die offiziellen Vertreter der orthodoxen Kirche vorbehaltlos den sowjetischen Staat und die Rote Armee beim Kampf um "die heilige russische Erde", obwohl in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts viele Priester dem Terror der Bolschewiken zum Opfer gefallen waren.
Auch im heutigen Russland steht die Kirche weitgehend hinter Regierung und Staat. Beispielsweise segnete der russische Patriarch Aleksej II. russische Militäreinheiten in Tschetschenien. Generäle des Tschetschenienkrieges erhielten hohe kirchliche Orden.Vater Dimitrij weiß, dass im heutigen Russland die Rolle der Armee nicht von allen Teilen der Gesellschaft positiv gesehen wird. Aber er glaubt, dass die Kritiker innerhalb der russischen Gesellschaft isoliert sind: "Es sind etwa zehn Prozent der Bevölkerung, die der Armee ablehnend gegenüberstehen. Aber wer sich offen gegen die Armee wendet, verliert sein Gesicht bei der Mehrheit der Bevölkerung."Wer sich aber mit Soldaten unterhält, hört durchaus Kritik an der Rolle der Kirche. Sergej, der seinen Militärdienst in einer Kaserne im Uralgebiet absolvierte und heute als Programmierer in Moskau arbeitet, erinnert sich noch gut an den Pfarrer, der seine Einheit betreute: "Der Pope ließ sich bei uns nur selten sehen. Er kümmerte sich fast nur um seine Gemeinde in der nahe gelegenen Stadt. Wir Soldaten hatten ja kein Geld um für die Kirche zu spenden und sein karges Gehalt aufzubessern. Daher waren wir für ihn uninteressant". Roman, der seinen Militärdienst vor vier Jahren beendete, ergänzt: "Ich habe auch zwei Popen erlebt, die sich für die Soldaten einsetzen. Einer von denen ist dann aber nach einiger Zeit von den Kirchenoberen in eine entlegene Gemeinde, weitab von der Kaserne, versetzt worden."Stolz ist Vater Dimitrij auf die Kontakte seiner Abteilung zu ausländischen Militärgeistlichen. So habe er bereits die Nato-Schule in Oberammergau besucht und im Gegenzug eine Delegation deutscher Militärgeistlicher in Moskau empfangen. Das Amt des deutschen Militärbischofs, das derzeit der Augsburger Bischof Mixa bekleidet, erscheint Vater Dimitrij sogar als vorbildhaft auch für die Stellung des obersten Militärseelsorgers innerhalb der russischen Armee. Bisher gibt es in Russland kein vergleichbares Amt.Die aktuelle Diskussion über einen neuen "Kalten Krieg" zwischen der Nato und Russland sieht Vater Dimitrij zumindest in Hinsicht auf die europäischen Partner eher gelassen: "Vor allem mit Deutschland und Frankreich werden sich die Beziehungen Russlands weiterhin gut gestalten." Dabei verweist der oberste Militärgeistliche auch auf seine Tochter: Sie spricht fließend Deutsch.ENDE
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